Als ich meinen Kollegen erstmals von meinem Fund erzählte, stieß ich auf Unglauben. Gibt es denn so etwas? Einmalige Menschen mit derselben Basis für ihre einmalige Psyche? Von dem Moment an, in dem ich etwas mehr darüber erzählte, wollten sie mehr wissen, und wussten sie mehr, wollten sie das Wissen auch anwenden. Obwohl man es als Arzt immer mit einmaligen Menschen zu tun hat, stützt man sich doch auf gemeinsame Faktoren. Man arbeitet mit der Wirbelsäule, mit dem Körperbau, mit den anatomischen Gegebenheiten. Wir wissen, wie Wirbel funktionieren, wie sie aus- sehen müssen. Trotz der großen individuellen Unterschiede in Größe und Form sind sie doch eine anatomische Grundgegebenheit, genauso wie der Magen und die Leber. Ich hoffe, begreiflich machen zu können, dass die Basis in der Psyche in gleicher Weise verlässlich, bestimmbar und somit auch brauchbar ist für medizinisches Handeln. Die Basis der Psyche ist allgemeingültig, genau wie eine anatomische Gegebenheit, trotz aller individuellen Unterschiede in Person, Rasse und Kultur.
Diese Basis zu beschreiben ist der Zweck meines Aufenthaltes in diesem sonnigen Land, dreitausend Kilometer weit weg von zu Hause. Ich bin freiwillig hierhergekommen. Es wäre aber wahrscheinlich nie so weit gekommen, wenn nicht immer wieder Kollegen, Politiker, Manager und Freunde, die meine Theorie schon kennen, mich angespornt hätten, endlich etwas davon niederzuschreiben. Sie alle bezweckten dasselbe, aber jeder mit einem anderen Ziel vor Augen. Der eine sah die reelle Möglichkeit, in seinem hektischen Alltag zu überleben. Der andere sah Möglichkeiten, sein Management zu verbessern. Wieder ein anderer sah sich in der Lage, seine Spitzenleistung im Singen oder im Ballett oder im Sport beizubehalten. Der Kunstmaler konnte mehr Ausdruck in seine Kunstwerke legen. Der Politiker wurde widerstandsfähiger.
Doch der größte Druck kam von der Seite meiner Patienten. Rheumapatienten, die gelernt hatten, ihre Schmerzen und ihre Aggression unter Kontrolle zu bekommen. Patienten mit bösartigen Tumoren, die ihre Geschwüre in den Griff bekamen oder sich ins Gleichgewicht brachten mit ihrem Tumor, wodurch ihre letzte Lebenszeit harmonischer verlief. Wieder andere lernten, mit ihrer Erkältung umzugehen. Und nicht zuletzt kam der Druck von den Hausärzten, die ihrerseits ihre Patienten lehrten, Schmerzen mit Hilfe einer kleinen Rechenaufgabe zu bekämpfen, anstatt nach Medikamenten zu greifen, die sie abhängig machten.
Der Strand lockt. Nach Muscheln tauchen oder segeln vielleicht? In der Sonne spazieren. Allein sein, ohne Gedanken. Ich bin aber an meinen Stuhl gebunden. Wochenlang habe ich mich auf diese »Geburt« vorbereitet. Ich will die Last los sein, die ich mir selbst aufgebürdet habe. Und zwar auf einen Schlag: Das Formulieren dieser Gedankengänge und Gefühle. Es ist mühsam, dieses Suchen nach adäquaten Wörtern und Formulierungen für mir unbekannte Menschen, die nicht mit präzisen Fragen zu mir gekommen sind. Ich denke an all die Fachliteratur, die ich vor kurzem nochmals durchgesehen habe. An die unzähligen Male, die ich all meine Gedankengänge schon erklärt und erläutert habe. An all die Zeit, die ich darauf verwandt habe, um das System hieb- und stichfest zu machen. Gedanken an Mariette und unsere Kinder, die so oft alleine waren, weil ich wieder einmal arbeiten musste. An alle Menschen, die abhängig waren, als sie zu mir kamen und die unabhängig wurden; nur noch abhängig von sich selbst und nicht, wie es so oft der Fall ist, vom Arzt. Gedanken an die Fälle, die zu mir kamen: Rückenschmerzen, Magen-schmerzen, Krebs im letzten Stadium. Sie alle wurden mit demselben System behandelt; nur die Sprache, die ich wählte, war immer wieder anders: angepasst an ihre Situation, ihre Erfahrungen, ihr Leben und ihren Zustand. Ich sehe die Finger des Rheumapatienten, die schnell abschwellen, den Primärtumor in der Leber, der kleiner wird; Gichtanfälle und Ischias Beschwerden, die schlagartig verschwinden. Den Leukämiepatienten, dessen Blutbild sich wieder verbesserte. Ich erinnere mich an den Augenblick, wo ich als junger Arzt, gestützt auf meine eigene Theorie, zum ersten Mal einem Krebs zuleibe ging, der von älteren Kollegen, Spezialisten, als unheilbar betrachtet wurde.
Dies alles geht mir jetzt durch den Kopf, wo ich die Einfachheit der Gedanken unbekannten Lesern übermitteln soll, meine Art und Weise, Krankheit vom Menschen selbst aus zu bekämpfen, mit seinen Fähigkeiten, seiner Psyche und seinem Charakter. Über Ernährung und Diäten rede ich nicht, auch nicht über Medikamente. Ich glaube an die überwältigend große Kraft im Mechanismus und Organismus des Menschen, der sehr wohl imstande ist, nicht erwünschte Stoffe abzubauen oder nicht aufzunehmen. Mich interessiert das Regulierungssystem, das die Prozesse steuert.
Den Prozessen an sich vertraue ich blind. Sie haben mich nie im Stich gelassen.
In diesem Buch werde ich versuchen, die psychische Grundlage und Fundierung zu beschreiben, die für jeden Menschen Gültigkeit hat, obwohl er einzigartig ist. Ich werde beschreiben, wie jeder dank dieser feststehenden Gegebenheiten das Beste aus sich herausholen kann. Obschon das Buch in der Hauptsache von der Psyche handelt, allerdings aus einer anderen Perspektive gesehen, als der aus Psychologie und Psychiatrie bekannten, werde ich mich darüber hinaus auch mit den individuellen Ausdrucksmöglichkeiten des Einzelnen befassen, also mit seinen Muskeln und seinem Knochenbau.
Meine Beschreibung der Psyche ist mathematisch orientiert. Ich denke eher naturwissenschaftlich als philosophisch. Auf religiös begründete Lehren, östlichen oder westlichen Ursprungs, wie der Mensch sich entwickeln muss, wie er leben muss, um glücklich zu sein, gehe ich nicht ein. Er soll darüber seine eigenen Gedanken haben. Mir geht es darum, eine Grundlage zu schaffen. Danach, später, kann erst ein selbstgewähltes Ziel erreicht werden.