Erster teil

Eine unkonventionelle Art und Weise,
die Entstehung von Krankheiten
zu erfassen

Einleitung

Hier sitze ich, mehr als dreitausend Kilometer weit weg von zu Hause. Vor zwei Tagen bestieg ich frühmorgens das Flugzeug in Richtung Süden. Zwanzig Tage weg von meiner Praxis. Zwanzig Tage, um niederzuschreiben, was ich in den letzten zehn Jahren an Gedankengängen und Theorien in Bezug auf den kranken und den gesunden Menschen entwickelt habe. Gedanken und Theorien, die ich während vieler Jahre an mir selbst und an Patienten erprobt habe. Womit hoffnungslos Kranke eine Chance bekamen, wieder frei leben zu können, womit gesunde Menschen die Chance erhielten, ihre Leistungsfähigkeit optimal zu erhalten, und womit mir selbst geglückt ist, mich auf den Beinen zu halten, trotz dem mörderischen Tempo meines Lebens. Ein Tempo, das mir von der Umwelt aufgezwungen wird, weil immer mehr Menschen an mich herantreten.

Mir hilft die Überzeugung, dass ein Mensch nun einmal eine Aufgabe in seinem Leben hat. Und dies ist meine Aufgabe. Doch auch ich habe ein Recht, ja die Pflicht, im Gleichgewicht zu bleiben, um meine Bestleistung auch in Zukunft zu garantieren. Bis zur Stunde ist mir das auch geglückt. Und zwar dank derselben Theorie, die so vielen meiner Patienten geholfen hat, wieder frei zu werden. Denn ich funktioniere ja nicht anders als meine Patienten, so verschieden und so einmalig wir alle sind.

Das Flugzeug war bis zum letzten Platz besetzt. Vollbeladen mit Menschen, die alle ihre eigenen Erwartungen hatten: Feriengäste, Geschäftsleute, Betagte, die in der Sonne überwintern wollten, Computerspezialisten auf dem Weg zu einem Kongress, Gastarbeiter auf der Heimreise. Wie kann man all diese einmaligen Menschen unter einem Nenner fassen? Wie kann man ein gemeinsames Grundmuster entdecken, das all ihren Handlungen zugrundeliegt, trotz ihrer einmaligen Veranlagungen und einmaligen Lebenserfahrungen?

Wie kann man etwas aussagen über die Zukunft, über ihre zukünftige Gesundheit, über ihr zukünftiges Verhalten? Wie können sie ihre Freiheit und Unabhängigkeit bewahren? Wie können sie gesund bleiben im Körper und im Geist? Zwanzig Tage stehen mir zur Verfügung; zwei sind schon vorbei, ohne dass ich etwas getan habe, weil ich noch schnell bei der Abreise eine holländische Grippe mitnahm. Nur eine Erkältung, aber doch so störend, dass sie mein Denken beeinträchtigt, mein Kopf verstopft ist und meine Bewegungen wehtun. Ich bin behindert. Behindert in meinem Körper und auch in meinem Geist, ein deutliches Gefühl von Unfreiheit, denn ich bin ja abhängig von meinem Körper. Ohne Zweifel verdanke ich diese Grippe mir selber. Ich habe mich in den vergangenen Wochen anfällig gemacht. Ich musste diese Reise vorbereiten und noch mehr Patienten helfen, weil ich eben drei Wochen nicht zu erreichen sein sollte; dazu kamen Spannungen in meinem Körper, entstanden aus dem Vorwissen, hier etwas leisten zu müssen. Trotz all der Jahre Erfahrung, in denen ich unzählige Male erklärt habe, wie und wo diese einmalige Basis im Menschen liegt und wie man optimal funktionieren kann, bin ich jetzt etwas verkrampft.

Diesmal muss ich eine Sprache finden, die für viele, aber alles einmalige Menschen zugleich verständlich ist. Jetzt muss ich Menschen ansprechen, von denen ich weiß, dass sie am liebsten alles Neue von sich fernhalten, aus Angst vor sich selbst.

Neue Gedanken bringen unweigerlich Bewegung mit sich, während doch so viele Menschen gerne starr sein möchten, sich innerlich und äußerlich versteift haben, aus Angst vor ihrem eigenen freien Willen und ihrer eigenen freien Wahl. Doch jeder weiß, dass Starrheit Risse erzeugt, z.B. im Mauerwerk.

Beweglichkeit muss sein. In jedem Bauwerk muss Spannkraft stecken, sonst wird es zerbrechen. Wer kennt nicht das Gesetz der Elastizität? Der Mast des Segelschiffes ist biegsam, deshalb bricht er nicht. Ebenso reißt ein altes, vertrocknetes Gummiband schneller als ein neues mit der entsprechenden Elastizität. Das biegsame Schilfrohr richtet sich nach dem Sturm wieder auf, während der starke Baum gefällt bleibt. Jedes Kind weiß das. Dieses Gesetz gilt auch für den menschlichen Geist. Er muss Spannkraft haben. Und gerade diese ist den westlichen Menschen heutzutage allzu oft abhanden gekommen. Wie oft lassen Menschen sich versteifen durch die Gesellschaftsnormen, durch Regeln und Gesetze, durch Ansprüche und Erwartungen von anderen.

Selbstverständlich muss jede Gesellschaftsform Regeln kennen. Regeln, die eine größtmögliche Freiheit garantieren, die zulassen, man selbst zu sein. Reglementierungen sollten starr sein, um Deutlichkeit und Sicherheit zu schaffen; Menschen jedoch sollten nicht starr sein. Menschen müssen sich bewegen, in Körper und Geist, um biegsam Schläge auffangen zu können, so wie der Segelmast, das Gebäude und das Schilfrohr.